Die Grenzen polizeilicher Befugnisse bei Abschiebemaßnahmen wurden durch das Bundesverfassungsgericht neu definiert. In einem wegweisenden Beschluss stellten die Karlsruher Richter klar, dass das Aufsuchen ausreisepflichtiger Personen in ihren Unterkünften ohne richterliche Genehmigung grundrechtswidrig ist. Diese Entscheidung betrifft einen konkreten Fall aus dem Jahr 2019, bei dem Berliner Polizeibeamte die Tür eines Bewohners in einem Übergangswohnheim gewaltsam öffneten, um einen Mann aus Guinea nach Italien zu überstellen.
Das Gericht widerspricht damit einer langjährigen Praxis der Behörden, die argumentierten, es handle sich lediglich um ein Betreten der Räumlichkeiten und nicht um eine Durchsuchung im verfassungsrechtlichen Sinne. Diese Unterscheidung ist jedoch nach Auffassung der Verfassungsrichter nicht haltbar, wenn der genaue Aufenthaltsort der Person im Vorfeld unbekannt ist.
Grundrechtlicher Schutz der Wohnung gilt auch bei Abschiebungen
Artikel 13 des Grundgesetzes schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung als fundamentales Grundrecht aller Einwohner in Deutschland. Dieser Schutz gilt unabhängig vom Aufenthaltsstatus einer Person und kann nur durch richterliche Anordnung außer Kraft gesetzt werden. Die Verfassungsrichter stellten in ihrer Begründung fest, dass eine Durchsuchung immer dann vorliegt, wenn Betroffene zum Zweck der Abschiebung in ihren Zimmern aufgesucht werden müssen.
Thomas Wischmeyer, Professor für Verfassungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, bewertet die Entscheidung als wichtigen Schritt zur Wahrung grundrechtlicher Standards. Er betont, dass Gerichte in der Praxis relativ zügig über entsprechende Anträge befinden können. Die neue Rechtslage führt zu einem Vier-Augen-Prinzip : Bevor Behörden in geschützte Räumlichkeiten eindringen, müssen sie einem Richter die Notwendigkeit dieser Maßnahme darlegen.
| Situation | Richterbeschluss erforderlich |
|---|---|
| Sicherer Kenntnisstand über Aufenthaltsort in Raum | Nein |
| Unbekannter oder unsicherer Aufenthaltsort | Ja |
| Durchsuchen mehrerer Zimmer in Gemeinschaftsunterkünften | Ja |
Auswirkungen auf geltendes Ausländerrecht und Polizeipraxis
Die Karlsruher Entscheidung stellt nicht nur die seit 2019 übliche Vorgehensweise in Frage, sondern wirft auch Fragen zur Verfassungsmäßigkeit des 2024 verabschiedeten Rückführungsverbesserungsgesetzes auf. Diese Gesetzesänderung hatte die polizeilichen Befugnisse erheblich erweitert und erlaubte es, bei Abschiebungen aus Gemeinschaftsunterkünften sogar Zimmer anderer Bewohner ohne richterliche Genehmigung zu durchsuchen.
Nach der neuen Rechtsprechung ist der Anwendungsbereich dieser Normen auf extreme Ausnahmefälle begrenzt. Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt kommt nur in Betracht, wenn :
- Vor Beginn der Maßnahme sichere Kenntnis über den Aufenthaltsort besteht
- Die betroffene Person sich nachweislich in einem bestimmten Raum befindet
- Keine Suche oder Nachforschung erforderlich ist
Praktische Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben
Für die künftige Durchführung von Abschiebemaßnahmen bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand für die zuständigen Behörden. Sie müssen künftig rechtzeitig gerichtliche Genehmigungen einholen, bevor sie Wohnräume betreten. Rechtswissenschaftler Wischmeyer sieht darin jedoch kein unüberwindbares Hindernis für rechtmäßige Abschiebungen. Vielmehr werde dadurch sichergestellt, dass staatliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche angemessen kontrolliert werden.
Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für das gesamte Migrationsrecht und könnte legislative Anpassungen erforderlich machen. Abschiebebehörden müssen ihre Verfahren überarbeiten und künftig standardmäßig richterliche Beschlüsse beantragen, wenn sie nicht mit Sicherheit wissen, wo sich die ausreisepflichtige Person aufhält. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen gelten unabhängig davon, ob die Betroffenen in eigenen Wohnungen oder in Gemeinschaftsunterkünften leben.











